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Mai, 2019:
Ausgabe #10 ist erschienen

Christian Jakob

Differenz in der Beurteilung

Von den fünf Gründen, aus denen man in Bremen
ungestraft afrikanische Dealer töten darf

 

»Es hängt in gewissem Grade von der offiziellen Gesellschaft ab, bestimmte Verletzungen ihrer Regeln als Verbrechen oder nur als Vergehen zu stempeln. Diese Differenz in der Beurteilung, die weit davon entfernt ist, indifferent zu sein, entscheidet über (...) den moralischen Ton der Gesellschaft. Das Gesetz selbst kann nicht nur das Verbrechen bestrafen, sondern es auch hervorrufen, und das Gesetz der Berufsjuristen ist sehr dazu geeignet, in dieser Richtung zu wirken.«
Karl Marx, »Bevölkerung, Verbrechen und Pauperismus«


Wenn ein so genannter Arzt, zwei Sanitäter und zwei Polizisten zusammen einen afrikanischen Asylbewerber und mutmaßlichen Kokainverkäufer töten, weil sie ihre Vorschriften nicht einhalten - handelt es sich dann um ein Verbrechen? Und wer trägt daran die Schuld? Die letzten drei Jahre hat die offizielle Gesellschaft in Bremen gebraucht, um diese Fragen zu klären. Ein Rückblick auf ihre Antworten.

I. Die Polizei: »Gefahr im Verzug«

Es ist die Rede vom Tod des Sierra-Leoners Laye-Alama Condé, der starb, weil ihm der Polizeiarzt Igor V. am 27. Dezember 2004 gewaltsam den Brechsirup Ipecacuanha einflößte. Condé hatte sich an jenem zweiten Weihnachtsfeiertag, kurz vor Mitternacht, an der Sielwallkreuzung aufgehalten. Die Streifenwagenbesetzung, die ihn aufgreift, wird später sagen, dass Condé, der bis dahin weder als Dealer noch sonstwie strafrechtlich in Erscheinung getreten war, »verdächtig geschluckt« habe. Den Polizisten reichte das. Sie brachten ihn in das Polizeipräsidium in der Vahr, fesselten ihn auf eine Pritsche und riefen den Polizeiarzt V.. Einen Dolmetscher, einen Richter oder einen Staatsanwalt riefen sie nicht. »Gefahr« sei »im Verzug« gewesen. Das sah Condé wohl ähnlich. Er weigerte sich jedenfalls, den vom Arzt gereichten Brechsirup zu schlucken. Die Polizisten hielt das nicht ab. Sie ordneten eine »Zwangsexkorporation« an. Dass weder sie noch der Arzt V. Erfahrungen mit zwangsweiser Brechmittelvergabe hatten, störte niemanden.

Das Experiment ging schief. Gegen ein Uhr sah V. sich gezwungen, ein Notarzt-Team zu rufen. Die beiden Sanitäter erinnern sich bei der Gerichtsverhandlung an folgende Szene: Condé lag, mit Handschellen gefesselt, auf einer Liege. Nach der Brechsirupvergabe »zeigte er überhaupt gar keine Reaktion mehr«. Sein gemessener Blutsauerstoffwert sei kritisch gewesen, die Sanitäter konnten ihn jedoch wieder stabilisieren. Doch obwohl Condés Zustand zwischenzeitlich lebensgefährlich gewesen war, nutzten V. und die Polizisten die Gelegenheit, ihre »Maßnahme« fortzusetzen. 

Die beiden Sanitäter halfen ihnen dabei. Einer reichte V. Schüsseln mit Wasser, das dieser Condé über eine Nasensonde einflößte. Die Sonde, so berichten sie später, sei immer wieder herausgerutscht und habe nachgelegt werden müssen. Schließlich regte Condé sich nicht mehr. Einer der Polizisten habe aufkommende Zweifel mit der Behauptung ausgeräumt, Afrikaner würden sich »öfter mal totstellen«, anschließend schlug er den Einsatz einer »Mundklammer« vor, um zu verhindern, dass Condé seinen Mageninhalt mit den Zähnen zurückzuhalten versucht. Dann habe V. Condés »Zäpfchen mit einer Pinzette stimuliert«, um weitere Würgereflexe zu provozieren. Einige Kokainkügelchen kamen zum Vorschein, die Condé offenbar zuvor verschluckt hatte. Der gesuchte Beweis, die alleinige juristische Rechtfertigung für die Tortur, war erbracht. Doch statt Condé ins Krankenhaus zu bringen, machten V., die Polizisten und die Sanitäter weiter.

Aus Condés Mund sei ständig Flüssigkeit gelaufen, erinnert sich ein Sanitäter. »Der ganze Boden war reichlich voller Wasser«. Condé selbst sei derartig durchnässt gewesen, dass die Elektroden zur Messung der Herzfrequenz kaum an seinem Körper haften blieben. Am Ende habe Condé »Schaum vor dem Mund« gehabt. Seine Herzfrequenz rutschte »in den Keller«, zeitweise habe das Herz völlig zu schlagen aufgehört, seine Pupillen »deuteten auf einen schweren Hirnschaden hin«. Einer der beiden Polizisten sagte vor Gericht, er und sein Kollege hätten »angemessen und verhältnismäßig« entschieden. Dass man Condé Wasser per Nasensonde einspritzte, damit er seinen Mageninhalt restlos hervorwürgte, nannte der Drogenfahnder »trinken«. Um drei Uhr morgens fällt Condé  ins Koma und wird in das St.-Joseph-Krankenhaus eingeliefert. Die Diagnose des Notarztes: Ertrinken. Condés Lunge war offenbar voller Wasser gelaufen. Kurz darauf trat der Hirntod ein. Am 7. Januar wird Condé für tot erklärt.

Anfang 2007 erhielt Condés Mutter 10.000 Euro - das Schmerzensgeld, das Condé zugestanden hätte, wenn er überlebt hätte. Die hätte das Land ihm zahlen müssen, weil der Europäische Gerichtshof 2006 im Fall des Nigerianers Achidi John zwangsweise Brechmittelvergabe als Verstoß gegen das Folterverbot eingestuft hatte. John war 2001 in Hamburg bei einer zwangsweisen Brechmittelvergabe gestorben.

Ein Jahr darauf klagt die Bremer Staatsanwaltschaft V. wegen fahrlässiger Tötung an. Im April 2008 eröffnet das Landgericht Bremen den Prozess.

II. Der Innensenator: »Der Afrikaner«

Noch während Condé im Koma liegt, lädt Radio Bremen den damaligen CDU-Innensenator Thomas Röwekamp ins »buten un binnen«-Studio ein. »In Bremen liegt ein Mensch in einem Krankenhaus. Er stirbt vermutlich, weil die Polizei ihn als Drogendealer überführen wollte. Was empfinden Sie dabei?« will der Moderator von ihm wissen. Röwekamp holt weit aus und sagt schließlich: »Ich würde in der Abwägung sagen, ich halte das für eine gerechtfertigte Maßnahme. Der Umstand, dass er jetzt gesundheitliche Folgen davon trägt, ist im Wesentlichen (...) wohl darauf zurückzuführen, dass er eine dieser Kapseln offensichtlich zerbissen und sich dadurch eine Vergiftung zugeführt hat.«

Er halte es für »völlig gerechtfertigt, mit unnachgiebiger Härte gegen solche Leute, die Drogen gewerbsmäßig verkaufen, vorzugehen und dann müssen sie eben halt auch in Kauf nehmen, dass sie ein Brechmittel verabreicht bekommen.« Für den Senator war die Sache klar: »Hätte er die Drogen nicht versucht vor uns zu verbergen, wäre ihm nichts weiter passiert. (...) Wir werden weiter mit der notwendigen Härte und Schärfe und mit Brechmitteleinsatz gegen gewerblichen Drogenhandel in Bremen vorgehen.« Zwei Wochen später verbot der Senat allerdings den zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln.

Auch wenn Röwekamps Auftritt vielen lange im Gedächtnis blieb, tat dies seiner Karriere keinen Abbruch. Mit 25 Jahren war er Landtagsabgeordneter, mit 36 Innensenator, mit 38, im Jahr nach Condés Tod, wurde er stellvertretender Bürgermeister von Bremen. Er hat den Beweis erbracht, dass man in Bremen, das sich so gerne seiner Liberalität rühmt, das Vorgehen gegen Condé als »gerechtfertigte Maßnahme« bezeichnen - und kurz darauf mit großer Mehrheit in das zweithöchste Amt des Landes gewählt werden kann.

III. Die Gutachter: »Der Herzfehler«

Die Szene im Gerichtssaal war manchmal etwas unübersichtlich. Bis zu sieben Gutachter saßen während des Brechmittelprozesses zwischen den Zuschauern und den Prozessparteien. Und die meisten von ihnen waren gekommen, um zu erklären, warum eigentlich »jede beliebige Aufregung den Tod Condés hätte auslösen können.«

Denn der Berliner Kardiologe Rudolf Meyer hatte bei einer Obduktion festgestellt, dass Condés Herzwand »krankhaft verdickt« war. Dieser »toxische Herzmuskelschaden« solle »mit hoher Wahrscheinlichkeit« allein für das bei Condé festgestellte Lungenödem verantwortlich sein. Condé habe durch den Herzfehler - der etwa durch Alkohol, oder, man hätte es sich denken können, Drogen, entstanden sein könnte - in so gut wie jeder Stresssituation sterben können. Meyers These wurde vor Gericht von dem ehemaligen Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Berliner Charité, Volkmar Schneider, und dem Berliner Radiologie-Professor Karl-Jürgen Wolff gestützt. Und weil ein solcher Herzfehler von außen nicht erkennbar war, so die Schlussfolgerung, müsse V. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen werden. Das Gutachten hatten Meyer und Schneider wohl noch in der Schublade. Eine ganz ähnliche Expertise hatten sie nämlich auch im Fall des bundesweit ersten Brechmittel-Opfers Achidi John aus Hamburg abgegeben. Die dortige Staatsanwaltschaft hatte 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen eine Rechtsmedizin-Professorin der Eppendorfer Uniklinik eingestellt. Meyer und Schneider hatten zuvor auch sie mit der These entlastet, dass Johns Hirntod während des Brechmitteleinsatzes »auf eine vorhergehende schwere Herzerkrankung zurückzuführen« gewesen sei. Die Anklage der Staatsanwaltschaft im Condé-Fall hatte hingegen auf einer Expertise des Berliner Professors für Notfallmedizin Klaus Eyrich beruht. Der war der Ansicht, dass Condé ertrunken ist. Das ihm von V. per Nasensonde eingeflößte Wasser sei in seine Lunge gelaufen, habe das Lungenödem verursacht und in der Folge den Hirntod ausgelöst. Das hatte auch der Notarzt so gesehen, der Condé ins Klinikum St.-Joseph-Stift hatte einliefern lassen. Der später als Sachverständiger vom Gericht hinzugezogene Professor für Innere Medizin Herbert Rasche hatte sich Eyrichs Auffassung angeschlossen. Damit stand es drei zu drei im Gutachterstreit.

Am allerletzten Prozesstag dann lud V.s Anwalt Erich Joester den Leiter des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel, ins Gericht. Und der erklärte wunschgemäß, dass »das« - gemeint war eine zwangsweise Brechmittelvergabe - »prinzipiell eine ungefährliche Maßnahme« sei. Gefährlich werde es erst, wenn unbekannte Erkrankungen vorliegen - wie etwa bei Achidi John oder eben Laye Alama Condé. Dessen Herz sei »versagensbereit« gewesen, sagte Püschel und verglich Condés Tod mit dem »plötzlichen Herztod« bei gesunden Leistungssportlern. »Das kommt immer wieder vor, und nicht jeder, der so ein Herz hat, muss deswegen auch plötzlich tot umfallen«. Igor V. jedenfalls habe den Herzfehler nicht erkennen können. Vier zu drei.

IV. Der Richter: »Organisatorische Mängel«

Wohl lange bevor er wusste, dass er selber in der Sache würde urteilen müssen, hatte sich der Richter Bernd Asbrock, aktiv in der «Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer JuristInnen«, recht eindeutig positioniert. Wegen des Todes von Condé nannte Asbrock Bremen 2005 in dem ver.di-Juristenblatt «Verdikt« «die Hauptstadt des organisierten Erbrechens«. Mit einem geschwollenen «notabene« und einigen Ausrufezeichen beklagte er, dass der CDU-ler Röwekamp trotz seiner «höchst zweifelhaften Rechtsvorstellungen« zum zweiten Bürgermeister Bremens aufgestiegen war.

Das Urteil, dass Asbrock drei Jahre später gegen den Arzt V. fällte, lässt nur einen Schluss zu: Dass der Richter sich Röwekamps «höchst zweifelhafte Rechtsvorstellungen« in der Zwischenzeit zu eigen gemacht hat.

In seiner Urteilsbegründung jedenfalls sagte Asbrock, V. habe zwar »gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen«, etwa bei der Erstuntersuchung Condés. Außerdem hätten weder V. noch die Polizisten einen Dolmetscher oder einen Richter gerufen. Vor allem aber hätte V. seine erste erzwungene Brechmittelvergabe viel früher beenden müssen. »Wäre abgebrochen worden, hätte sich der Tod vermeiden lassen«, befand Asbrock. Somit habe sich V. »mehrerer objektiver Pflichtverletzungen« schuldig gemacht, die ursächlich für den Tod waren. Doch der in Kasachstan ausgebildete Pathologe V. habe weder über klinische Erfahrung verfügt, noch sei er für zwangsweise Brechmittelvergabe qualifiziert gewesen. Ihn treffe deshalb keine Schuld, denn er habe »subjektiv nicht erkennen konnte, dass er objektive fachliche Fehler begangen habe«, die Condé das Leben kosteten. Es sei vielmehr ein »genereller organisatorischer Mangel« gewesen, dass ein Arzt auf dem Ausbildungsstand von V. diese »Behandlung vorgenommen hat«.Und deshalb sprach Asbrock Igor V. am 5. Dezember 2008, nach 23 Verhandlungstagen, frei.

V. Der Chefarzt: »Der Stalinismus«

Der »generelle organisatorische Mangel« dürfte im Wesentlichen dem Leiter des rechtsmedizinischen Instituts der St.-Jürgen-Klinik, dem Pathologen Michael Birkholz, zuzurechnen sein. Birkholz war seinerzeit Chef des »ärztlichen Beweissicherungsdienstes«, für den V. den Brechmitteleinsatz durchführte. Doch für ihn hat Condés Tod nichts mit fehlendem medizinischen Sachverstand zu tun. Für Michael Birkholz war es vielmehr der autoritäre sowjetische Geist, der in den 1960er Jahren in den zentralasiatischen Provinzen der UdSSR wehte, wo V. aufwuchs.

Fachlich nämlich sei V. »topfit auf dem Gebiet« gewesen, sagte Birkholz nach der Urteilsverkündung. Er sei von einem Notarzt im Legen einer Sonde unterwiesen worden und habe »mit Abstand mehr Fortbildungsmaßnahmen gemacht«, als von ihm verlangt worden sei. Das Hinzurufen des Notarztes könne man gar »als supervorsichtig bezeichnen«.

Der tödliche Umstand, dass V. die Brechmittelvergabe so lange fortsetzte, bis Condé ins Koma fiel, habe ganz andere Gründe. Das war »kein eigener Antrieb«, wusste Birkholz, sondern sei Ergebnis seiner »obrigkeitsstaatlichen Sozialisation in Kasachstan«. »Der Mann hat da sein Leben lang gelernt: Wenn die Polizei etwas sagt, dann macht man das.« Und bedauerlicherweise konnte der Polizeiarzt V. deshalb seine ärztliche Sorgfaltspflicht nicht gegenüber den beiden Polizisten geltend machen, die ihn schließlich - gemäß der geltenden Rechtslage - angewiesen hatten, Condés Mageninhalt um jeden Preis ans Tageslicht zu befördern.

»Sie wollten aber keinem die Schuld geben«

Als in der Woche nach dem Urteil linke Gruppen eine Demo «gegen zunehmende staatliche Repression« durch die Bremer Innenstadt anmeldeten, fürchtete die Polizei Proteste gegen das Brechmittel-Urteil. Hinnehmen wollte sie diese aber nicht. Dabei hatte die Aktion mit dem Condé-Prozess zunächst gar nichts zu tun. Die Demo unter dem Motto »We still stand together« sollte Teil eines bundesweiten Aktionstages wegen eines laufenden §129a-Verfahrens in Berlin sein. Dennoch beantragte die Polizei beim Stadtamt eine Verbotsverfügung, weil sie «Erkenntnisse« habe, dass die §129a-Demo sich «unfriedlich gestalten« könne. Welche «Erkenntnisse« dies seien, wollte die Polizei nicht sagen. Ein Sprecher von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erklärte auf Anfrage, es handele sich um die »üblichen polizeilichen Informationen«. Diese seien dazu »geeignet gewesen, ein Verbot auszusprechen«.

Es handelte sich um das erste Verbot einer linken Demo seit so langer Zeit, dass selbst der Sprecher des Bremer Oberverwaltungsgerichts, Hans Alexy, keinen vergleichbaren Fall finden konnte. Und auch nach einer vergleichbaren Begründung für das Verbot hätte Alexy lange suchen können. Denn wegen des Urteils im Condé- und im Jalloh-Fall1 sei »von einer aufgeheizten Stimmung schon zu Beginn auszugehen«, schrieb das Stadtamt zwei Tage später in seine Verbotsverfügung. Die Gründe für den Protest - vom Stadtamt als »Konfliktpotenzial« umschrieben - wurden also durchaus anerkannt. Der Staat begründete, dass er Protest nicht zulassen mochte, eben damit, dass er zwar einräumt, selbst den Anlass für ihn hervorgebracht zu haben - die Folgen nun aber leider unkalkulierbar seien. Und während das Kölner Kommittee für Grundrechte und Demokratie fand, diese Begründung schlage «dem Fass den Boden aus« begrüßte Röwekamps Nachfolger Mäurer das Verbot »zum Schutz der Gäste des Weihnachtsmarkts«.

Trotz Verbots jedoch versammelten sich am 13. Dezember etwa 250 Menschen vor dem Rathaus und zogen durch die Fußgängerzone. Nach etwa 500 Metern wurden sie von Polizeieinheiten aus Bremen und Schwerin eingekesselt. In den nächsten zwei Stunden wurden 174 DemonstrantInnen abgeführt und acht Stunden auf verschiedenen Polizeiwachen festgehalten. Im April 2009 begann das Stadtamt, Bussgeldbescheide wegen «Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz« an sie zu verschicken.

Ein Demonstrant formulierte es so: »Die Polizei hat in ihren Räumen an einem Afrikaner die Sau rausgelassen, weil er keine Rechte hat und sie deshalb nichts zu befürchten hatten.« Tatsächlich hätte die Polizei einen Weißen wohl niemals so lange einer derartigen Behandlung unterzogen - wenn sie überhaupt je damit begonnen hätte. Festzuhalten bleibt, dass Staat und Justiz es nicht für angebracht hielten, einen Todesfall wie den Condés juristisch zu sanktionieren. Das liberale Gerede des sozialdemokratischen Richters änderte an der moralischen und juristischen Kreativität, mit der man zu verhindern verstand, dass ein Staatsdiener für einen Todesfall bei der Erfüllung seines Auftrages hätte bestraft werden müssen, nichts.

Um die achtmonatige Verhandlung gegen V. zu beobachten, war der Bruder des Toten, Namantjan Condé, aus Guinea nach Bremen gereist. Am Ende sagte er, der Prozess habe »gezeigt, dass man meinen Bruder misshandelt hat und er daran gestorben ist. Das war kein natürlicher Tod. Und deswegen trägt auch jemand die Verantwortung. Sie wollten aber keinem die Schuld geben.« Mehr gibt es dazu kaum zu sagen.


ANMERKUNGEN:

1) Im sachsen-anhaltinischen Dessau waren drei Tage nach dem Bremer Brechmittelurteil zwei Polizisten freigesprochen worden, in deren Gewahrsam der Afrikaner Oury Jalloh unter mysteriösen Umständen verbrannte.


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