»Ein bisschen zusammengebrochen…«
Interview mit Extrablatt-RedakteurInnen
Frage: Wie würdet ihr das Projekt Extrablatt, das Konzept umreißen, was macht das Extrablatt – neben dem tollen Layout – aus?
Extrablatt_3: Gute Frage … na ja, irgendwie hat das Extrablatt immer versucht, sich um die Sachen zu kümmern, um die sich andere Antideutsche weniger kümmern oder zumindest nur sehr pauschal.
Extrablatt_1: … und sich sehr gründlich mit den Texten zu beschäftigen: dass wir die zusammen diskutieren, dass wir an die AutorInnen zurückmelden, wenn wir Änderungswünsche haben, und uns insgesamt Zeit damit nehmen. Das kann manchmal dazu führen, dass es sehr lange dauert, da wir nicht mit dem Druck eines Redaktionsschlusses arbeiten. Und dass es eher um eine tiefere Beschäftigung mit Themen geht, weniger darum, tagesaktuelle Themen aufzugreifen.
Extrablatt_2: Das Konzept hat sich im Laufe der Zeit auch geändert. Ursprünglich war es als Kommunikationsorgan der verschiedenen linksradikalen Gruppen in Bremen gedacht. Eigentlich ein sehr lokales Projekt, das gestartet wurde, weil es verschiedene Leute im antideutschen Spektrum gab, die vier, fünf verschiedenen Politgruppen angehörten und gemerkt haben, dass wir eigentlich nicht besonders gut miteinander in Kontakt standen. Da war das Extrablatt ein verbindendes Projekt zwischen den verschiedenen Gruppen. Diese Gruppen gibt es zum großen Teil gar nicht mehr. Und im Moment ist es so, dass die Anbindung an den unmittelbaren, linksradikalen Politalltag ein bisschen verloren gegangen ist. Und auch dadurch, dass die Hälfte der ehemals Bremer Redaktion nach Berlin gezogen ist, ist das Extrablatt als Projekt übriggeblieben. Es ist nicht mehr Begleitprojekt für andere Politprojekte.
Frage: Überspitzt als Bild zusammengefasst: Das Extrablatt setzt sich zwischen die linksradikal-antideutschen Stühle, als vertiefendes Theorieorgan?
Extrablatt_4: Ja, und es zeichnet sich vielleicht auch durch eine fast nerdige Beschäftigung mit Themen aus, die gar nicht so klassisch sind – man arbeitet sich also nicht an einem Common Sense von antideutschen Themen ab, sondern geht einfach einer Idee nach, ohne vorher die Relevanz abzuklopfen. ›Tod‹ zum Beispiel wäre ein Thema, das begleitend immer und überall eine Rolle spielt. Aber die explizite theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen Facetten des Todes ist ja eigentlich eine sehr spleenige Idee.
Frage: Habt ihr über die Jahre eine Lieblingsausgabe?
Extrablatt_2: Die Todes- und die Sexualitätsausgabe sind, glaube ich, meine Lieblingsausgaben.
Extrablatt_1: Es gab davor, als es nicht so feste inhaltliche Schwerpunkte gab, auch eine Ausgabe, in der das Thema Religionskritik eine starke Rolle spielte, mit einem von drei Teilen aus Lars [Quadfasels] Serie zu Religionskritik, einem Text zu Religionskritik und Psychoanalyse von Sonja [Witte] und einem Interview mit einer der Vorsitzenden des Zentralrats der Ex-Muslime. Das ist, glaube ich, die dickste Ausgabe, die wir jemals gemacht haben, die ich auch inhaltlich und von der Vorbereitung der Texte her sehr gut fand. Da haben wir auch gut zusammengearbeitet. Man merkt den Ausgaben zum Teil an, ob die Stimmung in der Redaktion gerade gut oder schlecht war. Es gibt eine Ausgabe, wo die Redaktion ein bisschen ein Tief hatte: Die Texte sind schlecht diskutiert, schlecht redigiert. Und bei der Religionskritik-Ausgabe merkt man, dass da alle sehr engagiert dabei waren. Und wir hatten das Glück, dass die Texte, insbesondere der Text von Lars [Quadfasel], der eine Art Auftragsarbeit war, sehr, sehr gut geworden sind.
Frage: Es gab also schon vorher Teilschwerpunkte. Aber es ist jetzt die dritte Ausgabe des Extrablatts, bei der es sich um ein Themenheft handelt?
Extrablatt_2: Mit den Schwerpunkten war es eher so, dass wir einfach gute Texte gesammelt haben und dann, nachdem die Ausgabe zusammengestellt war, festgestellt haben: Oh, das sind ja drei, vier Texte zu einem Thema – dann benennen wir das jetzt nachträglich als Schwerpunkt. Im Unterschied zu den neueren Ausgaben, wo wir vorher das Thema im Kopf hatten und daraufhin gezielt die Texte gesucht haben.
Frage: Da hat sich schon vom Arbeiten und vom Anspruch her etwas verändert. Von: gute Texte sammeln und dann beim Layouten und so weiter eine Konstellation deutlich machen, hin zu: wir nehmen uns wirklich ein Thema vor.
Extrablatt_5: Es gab dazu in letzter Zeit aber auch Überlegungen, ob wir uns damit nicht zu sehr beschränkt haben. Das heißt ja nicht nur, sich ein Thema vorzunehmen und sich darauf zu konzentrieren, sondern auch, sich sehr auf dieses eine Thema einzuschränken. Und bei der aktuellen Ausgabe hat es Probleme gegeben, die sich vielleicht auch direkt aus dem Thema heraus ergeben haben.
Extrablatt_2: Es ist eine veränderte Art und Weise der Redaktionsarbeit. Wenn man sich vorher das Thema überlegt und dann daraus die Ausgabe macht, hat man als Redaktion mehr das Gefühl, die Sachen in der Hand zu haben. Konzeptuell ist die Macht der Redaktion höher, als wenn man erst mal abwarten würde, was so kommt – auch an Ideen, die nicht zueinander passen müssen. Das kann einem eben auch auf die Füße fallen, diese erhöhte Verantwortung der Durchgestaltung, die in der Art und Weise, wie die Redaktion jetzt arbeiten musste, über die zwei Städte, vielleicht auch eine Überforderung war.
Extrablatt_1: Es gab auch Anlässe, die Texte einfach nahegelegt haben. Damals, 2008, gab es diesen Deutschlandwunder-Kongress der Gruppe kittkritik, da haben wir Texte veröffentlicht, die in die Nähe passten. Oder dass die Antinationale Gruppe Bremen (ANG) eine Veranstaltung mit Magnus Klaue gemacht hatte und wir dann den Vortragstext veröffentlicht haben. Oder einfach Leute, die wir kannten, wie Dich, Fragender, angefragt haben, ob sie interessante Texte haben, und die dann abgedruckt haben. Um überhaupt auch erstmal AutorInnen von außerhalb der Redaktion zu haben, weil es gar nicht so viele Leute in der Redaktion gab, die ihre Aufgabe darin sehen, regelmäßig eigene Texte zu veröffentlichen.
Frage: Aber ihr hattet immer auch so ein, zwei Texte aus der Redaktion dabei …
Extrablatt_2: Ja, aber es war dennoch kein AutorInnenkollektiv, das hier sein Organ hatte, um sich selber zu veröffentlichen.
Frage: Einen Schritt nochmal zurück: Wie kamt ihr denn zum Thema Feminismus? Gab es da eine Brücke von der Ausgabe her, die sich mit Sexualität beschäftigt hat? Oder fandet ihr, das stand einfach an?
Extrablatt_3: Zumindest haben wir schon bei der Sex-Ausgabe oft darüber geredet, dass das Thema im antideutschen Kontext häufig sehr stark vereinfacht wird, zum Beispiel: Jeglicher Feminismus ist eigentlich Islam-Appeasement, im weitesten Sinne, und sowieso sinnfrei, weil in der bürgerlichen Demokratie alles gut ist und man jetzt nur dieses Bollwerk aufrechterhalten muss. Das war zumindest ein Impuls.
Extrablatt_1: Anfang 2016 gab es eine Art Klausurtreffen, wo wir angefangen haben, uns inhaltlich deutlich mit dem Thema Feminismus zu beschäftigen. Das hatte sich daraus ergeben, dass wir [nach der Todesausgabe] die Ausgabe zu Sexualität gemacht hatten. Zu dem Zeitpunkt, 2014, schien uns das Thema Feminismus eine Leerstelle im antideutschen Diskurs zu sein, was auch für unsere Sexualitäts-Ausgabe galt. Feminismus hat sich für uns dann logisch-inhaltlich an das Thema Sexualität angeschlossen.
Extrablatt_2: Bei diesem Treffen haben wir ganz rudimentär mit sowas angefangen wie: ›Was ist denn Feminismus überhaupt?‹, und versucht, uns einen Überblick zu verschaffen, weil wir ganz stark das Gefühl hatten, darüber zu sprechen, ohne uns wirklich darauf geeinigt zu haben, was das denn eigentlich ist, und mussten dann feststellen, dass es den Feminismus natürlich nicht gibt. Das ist eine Binsenweisheit, aber das war wirklich eine Schwierigkeit für uns.
Extrablatt_5: Es war auf jeden Fall zu dem Zeitpunkt, als wir uns für das Thema entschieden hatten, noch nicht so wie jetzt, wo ich das Gefühl habe, dass es eine große Debatte geworden ist, wo alles Mögliche abgeht. Es war eher eines der großen Themen, wie Tod und Sex. Es hat für mich im Anschluss daran dann auch gepasst. Vielleicht auch vom inhaltlichen Ausmaß.
Frage: Der Anspruch, einen Themenschwerpunkt zu haben, setzt ja auch voraus, dass ihr die Schreibenden und Texte findet. Wie lief das am Anfang?
Extrablatt_1: Es gab verschiedene Ansätze, Schreibende anzufragen. Das erste, was wir gemacht haben, war tatsächlich, einfach Leute anzufragen, denen wir sozusagen Vertrauensvorschuss gegeben haben, weil sie schon mal bei uns veröffentlicht hatten, und zu fragen: Habt ihr was zu dem Thema, könnt ihr euch vorstellen, einen Text zu schreiben, sagt doch mal, was ihr für Ideen habt? Magnus Klaue hat uns zum Beispiel einen Text angeboten, der sich zuerst kritisch mit dem Missy Magazine beschäftigen wollte, hat sich dann aber der Kritik an Laurie Penny gewidmet. Gleichzeitig haben wir ziemlich schnell angefangen, zu gucken, was uns eigentlich besonders interessiert, uns – lange und produktiv – inhaltlich mit Pränataldiagnostik beschäftigt und anschließend versucht, jemanden, der eine Position, die wir teilen können, anzufragen. Damit fing das eigentlich schon an: Entweder haben sich die Leute gar nicht zurückgemeldet. Oder es ging inhaltlich gar nicht in die Richtung, die wir uns hätten vorstellen können.
Frage: Nun ist euch die Ausgabe ein bisschen baden gegangen, es sind z.B. AutorInnen abgesprungen. Die ersten Ausgaben des Extrablatts kamen noch in einer jährlichen Frequenz heraus, dann vergrößerten sich die Abstände. Wie lange habt ihr jetzt an dieser Ausgabe gearbeitet?
Extrablatt_3: Über drei Jahre.
Extrablatt_1: Drei und ein halbes Jahr.
Extrablatt_3: Wir sitzen da schon länger dran...
Extrablatt_5: Irgendwie fühlt sich das schon... Wenn ich so höre: ›Wie lange sitzt ihr daran?‹, dann denke ich schon fast: Aber sitzen wir denn überhaupt noch daran? Oder gab es zwischendurch... Es ist alles so schwammig, als wenn man zwischendurch aufgehört und dann wieder angefangen hätte. Es stimmt wahrscheinlich nicht so ganz.
Extrablatt_4: Ich glaube, dass wir zwischendurch die Ausgabe im Grunde schon fertig hatten, mit den ganzen Texten, etwa dem von Tove Soiland, und dann hat sie ihn zurückgezogen. Da war es ja fast eine fertige Ausgabe. Es ging eigentlich nur noch um das Editorial.
Extrablatt_5: Wobei es sich dann trotzdem nicht fertig angefühlt hat. An einen solchen Zeitpunkt kann ich mich nicht erinnern. Es war wie eine Verkettung von ... nach dem einen funktioniert das nächste nicht.
Extrablatt_2: Es war irgendwie zäh. Aber es war doch trotzdem so, dass man irgendwann wirklich Licht am Ende des Tunnels gesehen hat.
Extrablatt_3: Na ja, bei Tove Soiland… Und dann haben wir nochmal super viele Texte gelesen...
Extrablatt_5: … bis wir darauf gekommen sind, dass wir Texte aus der Schwarzen Botin abdrucken wollen. Aber davor haben wir bestimmt drei Texte – drei ziemlich komplizierte philosophische Texte – gelesen. Was war denn das nochmal?
Extrablatt_3: Irgendwas mit Lacan...
Frage: Wie viele Texte wurden zurückgezogen?
Extrablatt_4, Extrablatt_3: Drei
Extrablatt_5: Bzw. gab es auch noch den einleitenden Text zur Schwarzen Botin von einer anderen Autorin, mit dem wir alle nicht so ganz zufrieden waren und über den wir mit ihr zu diskutieren versucht haben. Dann stellte sich jedoch heraus, dass sie den Text schon woanders veröffentlicht hatte. Damit ist der Text für uns dann auch mehr oder minder hinfällig gewesen. Es war zwar nur eine Einleitung, aber trotzdem…
Frage: Wenn ich nochmal zurückspringen darf: Ihr hattet zunächst begonnen, euch als Gruppe einen eigenen theoretischen Standpunkt zum Thema Pränataldiagnostik zu erarbeiten, den ihr besetzen wolltet, um euch dann auf die Suche zu machen, welche AutorInnen dazu etwas beisteuern können.
Extrablatt_1: Wir hatten den Eindruck, dass die Debatte, die damals in der Jungle World zu Pränataldiagnostik geführt worden war, sehr dichotom war. Wir haben versucht, Leute zu finden, die nicht entweder eine sehr das Moralische oder eine sehr Freiheit und Technik betonende Position vertreten, sondern AutorInnen wie Barbara Duden, die eher vom klassischen Feminismus kommt und bei diesem Thema eine etwas andere Herangehensweise hat, die wir interessant fanden, auch wenn das nicht unbedingt deckungsgleich ist mit dem, was wir so diskutiert haben. Das hat leider nicht geklappt, sie war einfach nicht zu erreichen bzw. hat sich nie zurückgemeldet.
Extrablatt_2: Es ist viel verpufft, und für uns wurde klar, dass wir da einfach niemanden finden. Wir mussten dieses Thema einfach sein lassen und trotzdem weiter diese Ausgabe machen, die daran ja auch nicht hing. Aber dieses Gefühl, dass da was verpufft und wir wieder einen anderen Weg einschlagen müssen, hat sich die nächsten Jahre immer wiederholt.
Extrablatt_5: Und es hat sich gleichzeitig herauskristallisiert, dass wir mit dieser Ausgabe sowas versuchen wollen wie: verschütteten Strömungen des Feminismus, die vielleicht nicht mehr so viel Gehör finden, eine Stimme zu geben. Aber wir haben uns auch immer wieder selber dabei ertappt, dass es Diskussionen und Textvorschläge gab, die versucht haben, sowas wie den richtigen Feminismus zu bestimmen. Oder den Leuten nachzuweisen, dass sie gar keinen richtigen Feminismus machen, ohne dass wir selbst wirklich einen Begriff davon hatten oder diese Heterogenität wahrgenommen haben. Das hat das Ganze sehr zäh und schwierig gemacht. Oft war uns das gar nicht so bewusst, sondern ist uns im Nachhinein aufgefallen.
Extrablatt_3: Ja, die Distanz zum Gegenstand ist oft zusammengekracht – was bei dem Thema ›Tod‹ nie passiert ist. Niemand hat sich da aufgeschwungen, den richtigen Begriff vom Tod an den Start bringen zu wollen. Aber bei dieser Ausgabe war das sehr stark so.
Frage: Über das Geschlechterverhältnis nachzudenken und das zu theoretisieren – das ist ja etwas, das verschränkt ist mit dem Kapitalverhältnis oder mit Nation, das verweist aufeinander, aber es wird von vielen getrennt verhandelt. Wie weit sollte das eine Rolle spielen, wenn ihr die Heterogenität des Feminismus betont, wo es ja unglaublich viele Spielarten gibt?
Extrablatt_2: Es ist nie unser Anspruch, einfach nur abzubilden, was es an heterogenen Positionen gibt. Eher, eine kritische Reflexion darüber zu bieten, dass etwas zum Beispiel heterogen ist. Und wir sind auch nicht so drauf, dass wir von AutorInnen verlangen, dass das Verhältnis zum Kapital auf jeden Fall abgebildet werden muss. Was ich mir gewünscht hätte, wäre einfach, eine Ausgabe zu haben, die von verschiedenen Standpunkten zu einer kritischen Reflexion über den Feminismus auch als irgendwie historischen Gegenstand hätte beitragen können.
Extrablatt_1: Es ging ja schon auch um die Idee, dass hier gerade eine Leerstelle besteht. Erst später, während wir schon an dieser Ausgabe gearbeitet haben, ist das plötzlich durch verschiedene Ereignisse – also zum Beispiel diese Silvesternacht von Köln, MeToo, Beißreflexe, Debatten um die Rolle der Frau im Islam – ein ganz großes Thema geworden.
Extrablatt_4: Der Gegenstand ist uns weggelaufen, der war dann schneller als wir.
Extrablatt_5: Es gab irgendwann eine Schlagrichtung, wo wir gemerkt haben, dass wir aufpassen müssen, das nicht zu sehr thematisch zu verengen. Das war so mit dem Thema Pränataldiagnostik und der daran anschließenden Idee, etwas zu Attachment Parenting zu schreiben. Dann folgten noch andere Ideen, die eher auf eine Ausgabe zu Elternschaft als eine zu Feminismus hinausgelaufen wären. Da haben wir uns ein bisschen bremsen müssen. Und was gleichzeitig auch immer ein großes Thema war: Dass es zwischendurch so aussah, als wenn die ganze Ausgabe von Männern geschrieben würde, plus einen Text von Melanie Babenhauserheide – dass das ja auch nicht sein kann, vor allen Dingen bei dem Thema Feminismus.
Extrablatt_2: … was uns irgendwie unangenehm gewesen wäre. Wo man ja auch hätte sagen können: Warum denn eigentlich? An verschiedenen Stellen kamen dann so Bremsen rein: Das Thema sollte breiter abgebildet werden. Es sollten nicht nur männliche Autoren sein. Vielleicht haben wir bei anderen Ausgaben Impulsen einfach freien Lauf gelassen und hier mehr das Bedürfnis gehabt, etwas zu ordnen oder ein bestimmtes Bild zu erstellen, ohne eigentlich ein eigenes Anliegen zu haben.
Frage: Um nochmal auf die Frage der Elternschaft zurückzukommen: Hätte nicht auch eine Elternschaftsausgabe funktioniert?
Extrablatt_2: Das fällt mir jetzt erst im Gespräch auf, aber ich denke: ja.
Extrablatt_1: Es ist vielleicht auch – oder ganz sicher – kein Zufall, dass das so ein starkes Thema gewesen ist, weil das zu unserem Alter, zu biografischen Entscheidungen von Leuten in der Redaktion oder im Freundeskreis außerhalb der Redaktion gepasst hätte, wo Leute sich für oder gegen Kinder entscheiden mussten, entschieden haben. Das hat uns immer wieder auch beschäftigt und fiel uns auch beim Thema Feminismus immer wieder ein, weil es natürlich auch um so Debatten ging wie: Wie lässt sich das bewerkstelligen, Kinder aufzuziehen, ohne in klassische Rollenmuster zurückzufallen, ohne nur noch Kleinfamilie zu sein?
Extrablatt_4: Das ist für mich jetzt wirklich eine offene Frage, die ich sehr interessant finde: Wovor sind wir bei dem Thema Elternschaft zurückgeschreckt, dass wir diesem Impuls nicht weiter nachgegangen sind? Wir haben sonst immer gesagt: Das interessiert uns, das machen wir jetzt. Aber diesen Pfad haben wir irgendwie verlassen. Ja, was war es denn eigentlich, das uns so krampfhaft festhalten ließ an einer Ausgabe zu so einem Riesenthema wie Feminismus, dass es sich auch gar nicht konkreter ausbuchstabieren durfte – in die eine oder andere Richtung. Irgendwas durfte daran vielleicht auch nicht konkret werden. Also hatten wir vielleicht auch Angst vor etwas am Thema Feminismus.
Extrablatt_3: Und es musste den programmatischen Text geben. Das war der ganz starke Anspruch. Wir hatten einen Text zu einem sehr abseitigen Thema: Melanie [Babenhauserheide] zum Geschlechterverhältnis in Fan Fiction. Wir hatten den Text von Magnus Klaue, der sich an einer feministischen Autorin, Laurie Penny, abgearbeitet hat. Wir hatten einen Text über Attachment Parenting. Aber es war immer klar, dass es dieser Ausgabe noch an einem Text fehlt, der ein bisschen größer ist, der ein theoretisches Programm aufmacht, der die Leitlinie der Redaktion in irgendeiner Art festzieht.
Extrablatt_5: … und der die Ausgabe ›überdacht‹. Und das hatten wir sonst nie als Anspruch.
Frage: Aber ihr hattet auch in den vorangegangenen Ausgaben meistens einen solchen Text …
Extrablatt_2: Worüber wir dann sehr glücklich waren! Es war aber nie so, dass wir von vornherein den Anspruch gehabt hätten, dass es einen Text geben muss, der Programm ist, und wir uns dann auf die Suche begeben. Wir hatten im Nachhinein das Glück, dass es immer solche Texte gab, aber das war nie so ein krampfhafter Auftrag.
Extrablatt_1: Wir sind ja auch nicht auf die Idee gekommen, dass wir dann versuchen, den als Redaktion zu schreiben, wofür es, glaube ich, auch gute Gründe gibt.
Frage: Welche Texte sind schließlich aus der aktuellen Ausgabe rausgefallen?
Extrablatt_5: Magnus Klaue und Tjark Kunstreich haben ihre Texte zurückgezogen, die Einleitung zu den Texten aus der Schwarzen Botin ist raus – und der Artikel von Tove Soiland samt eines dazugehörigen Kommentars der Gruppe Les Madeleines.
Frage: Was waren die Konflikte mit Soiland?
Extrablatt_5: Tove Soiland war als Rednerin auf einer Konferenz eines breiten linken Bündnisses angekündigt: MARX IS MUSS. Und es gab in der Jungle World Hinweise, dass bei dieser Konferenz Redner auftreten, die enge Verbindungen zur Muslimbrüderschaft haben. Wir haben ihr dann eine Mail geschrieben und gefragt, ob ihr das bekannt ist und wie sie dazu steht. … Ich fühle mich deswegen etwas seltsam. Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo ich das in Bremen einem Bekannten erzählt habe, der meinte, ob wir jetzt die Gesinnungspolizei seien. Gleichzeitig haben wir ihr nicht die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt, wenn Du [T. Soiland] dahin gehst, dann wollen wir deinen Text nicht. Wir wollten den Text und aber auch eine Stellungnahme von ihr, nicht um sie im Heft abzudrucken, sondern um uns zu ihrer Position zu positionieren. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das schlecht war oder gut. Im Endeffekt hat sie dann gesagt, sie wolle, wenn wir Antideutsche seien, mit uns nichts zu tun haben und ihren Namen in unserem Kontext nicht genannt wissen. Gleichzeitig hatte sie kein Problem, ihren Namen im Kontext dieser Konferenz genannt zu sehen, das war schon eine ganz klare politische Abgrenzung. Wir hätten den Text immer noch gerne abgedruckt, aber wir konnten es auch nicht lassen, zu fragen, was denn da los ist.
Extrablatt_4: Es wäre gut gewesen, wenn sie den Text nicht zurückgezogen hätte. Dann hätte es diesen Dissenz gegeben, auf den wir im Editorial hätten eingehen können. Und wir hätten sie im Editorial kritisieren können. Ich fand diesen Widerspruch spannend, einerseits kam uns eine Positionierung entgegen – die in ihrem für die Ausgabe geplanten Text –, und eine andere Position derselben Person lehnen wir ganz klar ab. Es muss also nicht so total hermetisch sein.
Frage: Was war gut an ihrem Text?
Extrablatt_3: Der theoretische Rahmen. Die anderen Texte schneiden das Thema an, sind aber keine theoretische Erörterung des Geschlechterverhältnisses. In diesen Texten ist es eher implizit, bei Soiland ging es im Wesentlichen darum, nämlich um eine Kritik an der Flexibilisierung von Geschlecht. Zudem hätte es von Les Madeleines eine Antwort darauf gegeben.
Extrablatt_1: Les Madeleines haben geschrieben: Ja, es gibt eine Flexibilisierung, aber es gibt gleichzeitig einen gegenläufigen Trend, Geschlecht trotzdem sehr stark in zwei polaren Ausprägungen zu denken. Von diesem Punkt hätte man das Thema Feminismus in verschiedene Richtungen weiterdenken können. Und das fehlte dann. Wir haben weiter versucht, so einen programmatischen Text zu finden, was aber nicht gut geklappt hat.
Extrablatt_4: Stimmt, danach ist es so ein bisschen zusammengebrochen.
Frage: Aber gab es nicht auch in eurer redaktionellen Arbeitsweise einige Veränderungen, die zu Verzögerungen geführt haben?
Extrablatt_1: Man muss auch nochmal sagen, dass dies die erste Ausgabe ist, bei der wir mit zwei Redaktionen arbeiten, der in Bremen und der in Berlin.
Extrablatt_5: Das ist jetzt das zweite große Thema: die Redaktionsarbeit. Extrablatt_3 hatte ja schon gesagt, dass unsere Arbeitsweise das Tempo sowieso schon stark drosselt. Mit zwei Redaktionen wurde das noch schwieriger. Aber es ist auch nicht so, dass wir das gar nicht hingekriegt haben. Es wurde ja dann auch besser.
Extrablatt_2: Aber nochmal zu dem Punkt, dass wir letztes Jahr tatsächlich die Hoffnung hatten, das Heft bis Herbst fertigzubekommen. Nachdem der Text von Soiland wegfiel, ging es irgendwie nicht mehr weiter. Natürlich ging es weiter, weil wir nach Alternativen gesucht haben. Aber trotzdem war die Luft raus.
Extrablatt_5: Wir haben ziemlich viel über dieses Gefühl gesprochen, dass wir jetzt endlich das Heft rausbringen müssen, sonst würden alle immer frustrierter und am Ende lösen wir uns noch auf. Aber als dann alles auseinanderfiel, konnten wir es ja auch nicht schneller machen, als es geht. Wir waren uns lange nicht einig zwischen Berlin und Bremen, wie wir jetzt mit den übriggebliebenen Resten des Heftes verfahren sollen. Der letzte Stand, auf den wir uns einigen konnten, ist, eine unfertige Sonder-Ausgabe rauszubringen, und dazu gehört auch dieses Interview. Wie kann man das, was übriggeblieben ist, als Unfertiges veröffentlichen? Ich habe schon das Gefühl, dass es dann vielleicht eher auf so einer psychologischen Ebene darum geht, dass wir um die Veröffentlichung nicht herumkommen, nicht nur wegen der Verantwortung den AutorInnen gegenüber, die für die Ausgabe geschrieben haben, sondern auch, weil alles auf den Müll zu werfen ganz schön krass wäre…
Extrablatt_3: Ja, dann wäre das ganze Projekt Extrablatt gestorben…
Extrablatt_5: Genau… und das wäre eine ziemliche Katastrophe.
Frage: Und die Lösung ist jetzt ein Extra-Extrablatt – eine Zwischenausgabe?
Extrablatt_5: Ja, das war dann unsere beste Idee.
« Zurück