Editorial
›Feminismus‹ als Schlag- und Reizwort hat einige sehr wechselhafte Konjunkturen in öffentlichen Debatten hinter sich, doch so allgemein akzeptiert wie heute war er wohl nie. Noch 2006 wurde er im Mainstream der deutschen Frauen-Illustrierten nach Möglichkeit gemieden. So hieß es in der »Brigitte« (Ausgabe vom 6. März) im selben Jahr, dass die meisten deutschen Frauen, und vor allem die erfolgreichen, behaupteten, dass sie »mit Feminismus nichts anfangen können«. Es wurde zwar z.B. mit einer gewissen Rebellionslust die tradierte ungerechte Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau im Haushalt angeprangert – ein feministischer Topos schlechthin –, doch nicht ohne zugleich darüber zu spekulieren, wie den Unmut bereitenden Missstand anzusprechen denn möglich sei, ohne als feministisch zu gelten. »Freundinnen und Kollegen« fänden einen sonst »nervig. Und vor allem peinlich«. Man wollte zwar gleichberechtigt, aber keine Feministin sein. Noch schienen daran negative Attribute und überkommene Pejorative gegen sogenannte Emanzen zu hängen, allen voran: »männerfeindlich, anstrengend, unattraktiv«.
Diese angenommene Unvereinbarkeit von Feminismus und Mainstream wurde aus (pop-)feministischer Perspektive auch goutiert, wenn etwa Sonja Eismann (»Missy Magazine«) vor diesem Hintergrund Feminismus aufgrund seiner »omnipräsenten Stigmatisierung« als »das letzte große Kassengift des Kapitalismus« (Jungle World, 10.4.2008) bezeichnete.
2015 jedoch revidierte nicht nur Eismann ihr Urteil, dass Feminismus und Mainstream unvereinbar seien. (Vortrag zu Popfemismus in Thüringen) Das Wort ›Feminismus‹ und damit Konzepte wie (Self-)Empowerment und Gender-Bending erhielten gesellschaftlich eine positive Konnotation und avancierten zu Erfolg versprechenden Gestaltungsmitteln sowohl von Serien, Filmen, Musik und Mode als auch der Selbstinszenierung von Prominenten. Aber auch in staatlicher Politik und flexibilisierter Unternehmensführung erfuhren Forderungen nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen wie die gender-theoretische Kritik an Heteronormativität, fixierten Geschlechteridentitäten und männlicher Sprache (Teil-)Umsetzungen. Mitunter wurden diese wiederum von anderer feministischer Seite kritisiert.
Ein illustratives Beispiel für das derzeitige Eingehen des Feminismus in den Mainstream bietet die Ausgabe des Frauen- und Lifestyle-Magazins »Glamour« vom November 2015. Diese popularisiert nicht nur im Titel (»Leben Sie ihr Ändern«) Judith Butlers »Undoing Gender« und kündigt »Gender-Bending« und die »Lust, die Welt auf den Kopf zu stellen« als Titelthema an. Es befindet sich im Innern des Hefts darüber hinaus der Fragebogen: »Sind Sie Feministin?« – und noch bevor man die erste Frage beantworten kann, erhält man bereits die Antwort: »Natürlich sind Sie das, egal ob Sie sich die Achselhaare stehen lassen oder nur für die eigene nächste Gehaltserhöhung kämpfen.«
So ist es im Fragebogen vollkommen irrelevant, was die Beantwortende konkret denkt, will oder fühlt. Solange sie sich für irgendeine Antwort entscheidet, ist sie Feministin. Ganz gleich also, ob sie meint, Frauen seien »selber schuld« am Verdienstunterschied zu Männern, den sexistischen Film »50 Shades of Grey« »So Hot!« findet oder hinterherpfeifende Bauarbeiter darüber aufklärt, »dass der Postfeminismus das soziale Geschlecht ablehnt«. Keine Feministin zu sein, ist heute – zumindest der »Glamour« zufolge – einer Frau anscheinend nicht mehr möglich. Selbst die erklärte Antifeministin, sofern sie sich dazu entscheidet, eine zu bleiben, wäre hiernach Feministin.
Somit sind zwar laut »Glamour« alle Frauen Feministinnen, aber da sie offenkundig nicht alle dasselbe wollen, wird konsequenterweise im Fragebogen anhand der genannten und weiterer, ähnlicher Antworten zwischen den Kategorien »Vollblut-Feministin«, »Halbblut-Feministin« und »Kaltblut-Feministin« unterschieden. Die erste liebe Alice Schwarzer und hasse Rasierer, die zweite verkörpere Ausgewogenheit von Familie und Karriere, während die dritte keine Opfer scheue, um z.B. im Beruf an die Spitze zu gelangen.
Was gemäß der »Glamour« die Feministinnen eint, ist, dass sie allesamt Frauen sind und »Gleichberechtigung […] als selbstverständlich« empfinden. Nicht aber in dem Sinne, dass moderne Feministinnen selbstverständlich für Frauenrechte oder gegen die Unterdrückung von Frauen demonstrieren würden, denn Gleichberechtigung, so heißt es hier, »haben wir doch längst«, weil das Demonstrieren »andere Generationen schon erledigt haben« (»Glamour« November 2015). Selbstverständlich ist in der Vorstellung der »Glamour«, dass Frauen gesellschaftlich gleichberechtigt sind. Und feministisch sind sie, so wäre zu folgern, sofern sie ihre Rechte wahrnehmen, die ihnen der Staat garantiert – »Wir sind so frei!« heißt es daher auf dem Cover; »Geh deinen Weg!« legt der Fragebogen nahe. Dass sie das tun und tun können, ist konsequent gegen jeden Angriff zu verteidigen, wie es zugleich die »Grundvoraussetzung für jeden sozialen Fortschritt« (Charles Fourier, zit. nach MEW, Bd.19, S. 567) abgibt. Feminismus aber auf Gleichberechtigung und die Wahrnehmung von staatlich garantierten Individualrechten zu reduzieren – das ist ein Problem.
Versuchte man 2006 in der »Brigitte« noch, die Gleichberechtigung von Frauen vom Begriff des Feminismus zu trennen, so wird in der »Glamour« neun Jahre später der Versuch unternommen, ihn dahingehend zu verengen, dass Frauen mit Selbstverständlichkeit ihre individuellen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen. Sich in diesem Sinne Feministin zu nennen, gibt zudem die Zauberformel ab, noch jede Alltagsbewältigung – ob Anziehen, Arbeiten, Essen oder Selfie Schießen – in einen feministischen Akt der Selbstbestimmung zu verwandeln.
Lauten könnte diese Formel wie der 90er-Werbespruch für diätische Geflügelwurst: »Ich will so bleiben, wie ich bin«. Wie dieser Slogan verweisen aktuelle Äußerungsformen eines gezähmten Feminismus der Mitte (wie in der »Glamour«) auf eine Widersprüchlichkeit solch scheinbarer Selbstgenügsamkeit: Erstrebenswert kann ein wunschloser Status quo nur sein, wenn das Subjekt gegenwärtig nicht wunschlos glücklich ist – nur unter dieser Voraussetzung kann das Versprechen der fettfreien Wurst greifen, welches da lautet, den letzten Rest zu liefern, also das zu geben, was dem Subjekt fehlt, um eben bleiben zu wollen, wie man ist. Wie auch jede Wurst hat dieses Versprechen stets zwei mögliche Enden: Wunschlos glücklich zu sein, gilt als Versprechen paradiesischer Zustände einerseits, als Drohung einer »Brave New World« (A. Huxley 1932) andererseits, in der absolute Bedürfnisbefriedigung als Mittel totaler Anpassung dient.
Das zum Werbeslogan dazugehörige »Du darfst!« haucht demnach eine für die Subjekte höchst ambivalente Erlaubnis, welche nicht zuletzt auf eine zwiespältige Konstitution von Identifikationen mit dem Bestehenden hindeutet. Dies wirft weitere Fragen hinsichtlich der Affirmation der bestehenden (Geschlechter-)Verhältnisse auf – jedoch keineswegs allein bezüglich kulturindustrieller Phänomene wie dem Fragebogen aus der »Glamour«, sondern auch bezüglich aktueller, sich als (kapitalismus-)kritisch verstehender feministischer Positionen.
Denn die Vereinbarkeit von derlei Feminismus mit Mainstream-Weiblichkeitsbildern fällt nicht zufällig in eine Zeit, in der die Trennung von Lohnarbeit als männlicher und unbezahlter Reproduktionsarbeit als weiblicher Domäne zumindest aufgeweicht ist, mehr und mehr ins einzelne Konkurrenzsubjekt verlagert wird. Im Kampf gegen die nicht einmal arbeitslohnvermittelte Ausbeutung von Frauen hatte der kapitalismuskritische Feminismus ein systemsprengendes Potenzial vermutet: Sie sei nur zusammen mit dem Kapitalismus zu beseitigen. Eine Prognose, die sich nun, da der Kapitalismus darangeht, jene Trennung aufzuheben (als ›Doppelbelastung‹ freilich, der insbesondere Frauen ausgesetzt sind und die für sie nach wie vor für bedeutet, geringer bezahlte und/oder Teilzeitarbeit anzunehmen und etwa für die Kinder hauptverantwortlich zu sein, also auch weit häufiger Erziehungszeit/Elternzeit in Anspruch zu nehmen), ohne zugrunde gehen zu wollen, aber als falsch zu erweisen scheint. Jedenfalls stellen sich bestimmte, die Beziehung von Geschlechterverhältnis und Kapitalismus und damit auch dessen Unvereinbarkeit bzw. Vereinbarkeit mit feministischen Analysen betreffende Fragen nochmals neu; dieses Verhältnis zu klären, stellt unseres Erachtens bis heute ein Desiderat kritischer Theorie dar.1
Aber große Teile der Linken haben derlei Fragen zugunsten von Bemühungen um gerechtere Sprachgebräuche hinter sich gelassen. Bekanntlich bildete sich im Umfeld von Critical Whiteness, Queer Theory und postkolonialen Theorien ein sehr spezielles Verständnis davon heraus, wie sexistische und andere diskriminierende Strukturen aufzubrechen seien – mittels »Sprachhandeln«: »Sprache spiegelt nicht einfach etwas wider, was sowieso da ist, sondern ist ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Normen und Situationen, stellt diese mit her, bestätigt diese, macht sie selbstverständlich. Sprachhandlungen sind durch das Benennen, Klassifizieren, Ein- und Zuordnen, Bewerten, Einlesen und Ausschließen von Personen – was wir kontinuierlich machen – macht- und gewaltvoll.«2 Entsprechende Forderungen lauten: »Anstelle von generalisierenden Formen sollen die betreffenden Personen möglichst konkret benannt werden, ohne jedoch Positionierungen aufzurufen, die in einem spezifischen Kontext nicht relevant sind – und ohne nur diskriminierte Positionierungen aufzurufen und privilegierte weiterhin entnannt zu lassen.«3
Nun ist die Erkenntnis, dass Sprache nicht nur spricht, sondern auch handelt, weder neu noch falsch. Antisemitische, rassistische, schwulen- oder frauenfeindliche Sprache war nie einfach nur die Vorbereitung von Gewalt, sondern immer auch selbst schon Gewalt. Freilich geht es dem Sprachhandeln-Feminismus um die Ausschlüsse, die bereits die gewöhnliche Sprache diesseits von Invektiven produziert – und er verlangt von den einzelnen Sprechenden, dies zu korrigieren. So wie die postmoderne Linke im Allgemeinen dazu neigt, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn sie etwa als Konsequenz daraus, dass das Subjekt des aufklärerischen Universalismus empirisch meist nur das weiße, heterosexuelle und männliche Subjekt war, universalistische Prinzipien verabschiedet, so verabschiedet das Sprachhandeln-Paradigma die Forderung, kritisch mit dem Begriff gegen den Begriff zu denken, mithin die Allgemeinheit von Sprache. Dass in sie Gewaltverhältnisse eingeschrieben sind, ist auch Ausdruck davon, dass Geschichte bislang aus Gewaltverhältnissen besteht (und bis auf weiteres bestehen wird), an denen der Versuch, Ausschlüsse durch gewaltfreies Sprechen unmöglich zu machen, an Grenzen stoßen muss – und die Form nie ganz einlösbarer Gebote annimmt, an denen die einzelnen ihr Sprechen zu überprüfen haben.
Bei aller Forderung nach ›Entnennung‹ führt das Insistieren darauf, dass es sich bei Geschlecht und Hautfarbe um soziale Konstruktionen handelt, hier eben nicht dazu, sie als Gemachte transzendieren zu können, sondern sie als ›Positionierungen‹ ebenso unhintergehbar erscheinen zu lassen, als wären sie Naturtatsachen. Unter dem Schlagwort ›cultural appropiation‹ misst sich der Gehalt von Aussagen ›weiß positionierter‹ Menschen an eben jener Positionierung. Eine Perspektive, die Solidarität mit ›nicht-privilegiert positionierten‹ Menschen grundsätzlich verdächtig, um nicht zu sagen: unmöglich, erscheinen lässt und in der notfalls autoritär bestimmt wird, was nicht sein soll, beispielsweise dass Weiße die Position des Vietcong4 zu ihrer eigenen machen. Was auch heißt: Wenn Positionierungen stets das letzte Wort haben, auch im Denken nicht verlassen werden können (sollen), dann laufen solche Ansätze im Gegensatz zur behaupteten Intention darauf hinaus, bestehende Privilegien zu zementieren.
Abgesehen von ihren VerfechterInnen scheinen vor allem RechtspopulistInnen wie die AfD an den Erfolg von Gendermainstreaming und politisch korrektem Sprechen zu glauben – freilich als Schreckgespenst, gegen das sie ankämpfen. Sie propagieren mit »Mut zur Wahrheit« den Bruch eines angeblichen Tabus, wenn auf Facebook das Zwischenergebnis einer Umfrage gepostet wird: »Von 200 Usern haben sich 196 gegen den Genderunfug ausgesprochen. Klares Votum: Wir wollen uns nicht von ungewählten Bürokraten vorschreiben lassen, was wir wann und wie zu sagen haben. Wir wollen reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Genderwahn abschaffen!«5 Hier wird das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, in der die »Gender-Ideologie« ein »durchgängiges politisches Leit- und Handlungsprinzip darstellt« – will heißen: einer Gesellschaft, in der keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gelten sollen; in der ein Zwang zur Aufgabe von ›Vollzeit-Mutterschaft‹ zugunsten der Erwerbsarbeit bestehe; in der mit massenmedialer Unterstützung »Empfängnisverhütung, Abtreibung und homosexuelles Verhalten« politisch und rechtlich gefördert werde; in der staatliche Bildungspolitik im Rahmen des Sexualkundeunterrichts systematisch »einen sittenwidrigen Eingriff in die Kinderseelen« praktiziert etc.6 Aus solcherart Elementen also ist das angebliche Tabu gestrickt, gegen das die RechtspopulistInnen anreden möchten, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Weshalb ihre Gegnerschaft zum Tabu selbstverständlich nicht so prinzipiell ist wie behauptet; sie endet dort, wo Tabus ihrem gewachsenen Schnabel nicht zuwiderlaufen, und sie verträgt sich durchaus damit, dass AfDlerInnen sich den Paragraphen 175 zurückwünschen.
Was einmal als prominentes rhetorisches Mittel faschistischer Reden auftrat – der Aufruf zum Brechen imaginierter Tabus, die von Irgendwelchen da oben der ›Mehrheit unten‹ aufgezwungen würden, sodass die Gefolgschaft in ihrem Kampf nicht als Aggressor erscheint, sondern als wehrhaftes Opfer legitimiert wird – gehört auch zum guten Ton der AfD und anderer rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen. Dabei inszenieren sie sich in ihrer konformistisch-reaktionären ›Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen‹-Revolte als die neuen Antiautoritären, die sich von einem totalitären Zwang zur bürokratisch verordneten Gleichheit gegängelt fühlen. Eine solche Sichtweise liegt der Verwendung des Schimpfnamens ›Feminazi‹ zugrunde, der in Social-Media-Formaten, die vielerorts als rechte Gegenöffentlichkeit zur angeblich linkshegemonialen der klassischen Medien (der sogenannten Lügenpresse) fungieren, üblich geworden ist.
Die in unschöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Kampagnen gegen Feministinnen zeigen deutlich, dass es den Trollen und rechten NetzaktivistInnen bei aller Berufung auf Meinungs- und Redefreiheit letztlich nicht darauf ankommt, ihre GegnerInnen zu widerlegen, sondern darauf, an ihnen Exempel zu statuieren, sie mundtot zu machen und als öffentliche Personen zu zerstören. Erstes prominent gewordenen Beispiel hierfür war 2012 die Videospielkritikerin Anita Sarkeesian, die allein für die Ankündigung, Spiele auf geschlechterspezifisch stereotype Erzählmuster hin untersuchen zu wollen, einen Sturm aus Vergewaltigungsandrohungen, Gewalt- und Mordphantasien auf sich gezogen hat. In ähnlicher Weise tobte sich zwei Jahre später ein virtueller Mob gegen Frauen in der Computerspiele-Industrie und angeblich zu Feminismus-freundlichen Spielejournalismus aus, was großspurig »Gamergate-Affäre« genannt wurde und unter dem Denkmäntelchen »Ethik im Journalismus« firmierte. Dass sie tatsächlich aus viel heißer Luft um die abstruse Behauptung herum bestand, dass weibliche Entwicklerinnen sich wohlwollende Rezensionen mit Sex erkaufen würden, hielt wiederum viel zu wenige davon ab, diesen Unfug zu teilen, das Hashtag #GamerGate ging, wie man so sagt, viral.
An diesen Kampagnen formierte sich die später als »Alt-Right« bekannt gewordene Strömung. Mittlerweile ist zwar mit Milo Yiannopoulos7 nicht nur ihr Posterboy (zu dem er als Sprecher der »Gamergate«-Kampange wurde) in Ungnade gefallen und mit Steve Bannon ihr Chefideologe als Präsidentenberater abgesägt, aber sie hat mit medienkompetenter Schläue gezeigt, dass sie die Linken, die Liberalen und FeministInnen empfindlich treffen kann, wenn sie ihnen ihr einzig verbliebenes Mittel zu Veränderung, die Sprache, vergiftet und durch hasserfüllte Memes ersetzt.8
Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass die RechtspopulistInnen verschiedener Provenienz sich nicht zuletzt in Gegnerschaft zur linksliberalen Identitätspolitik definieren. Diese war der Versuch nach Achtundsechzig, Politik für die mehrfach Unterdrückten zu machen, die aus dem Raster ›Arbeiter und unterdrückte Völker‹ der doktrinären Linken fielen, in dem auch das Geschlechterverhältnis allenfalls als ›Nebenwiderspruch‹ vorkam. Gegen eine derart bornierte Linke war der Feminismus der zweiten Frauenbewegung ein notwendiger Einspruch. Wenn aber heute zu beobachten ist, dass Mainstream-Feminismus vom Kapitalismus nur noch in affirmativen Tönen sprechen will, während im Queer-Feminismus Identitäten auf dem Umweg der Dekonstruktion hypostasiert werden, dann ist es höchste Zeit, daran zu erinnern und darauf zu bestehen, dass kritischer Feminismus sich weder im einen noch im anderen erschöpft.
Schon Anfang der 1980er übte die heute weitgehend unbekannte feministische Literaturzeitschrift »Die Schwarze Botin« scharfe Kritik an affirmativen und esoterischen Tendenzen der zweiten Frauenbewegung. Welche Aktualität die damaligen Einsprüche noch heute haben, kann man an dem Gespräch von Brigitte Classen mit Uta Ruge von 1983 ablesen, das unter dem Titel »Wünsche nach Kraft durch Freude« erschien und in dieser Ausgabe ebenso nachgedruckt wird wie die literarische Polemik »Das weibliche Alibi« von Christa Reinig aus dem Jahr 1984. Der Text »Hemmungslose Ausbeutung und Abfallkultur – Die Zeitschrift Die Schwarze Botin« von Katharina Lux nimmt eine historische und politische Einordnung der beiden nachgedruckten Texte im Besonderen sowie der »Schwarzen Botin« im Allgemeinen vor. Außerdem hat Uta Ruge (eine der beiden Gesprächspartnerinnen aus der »Schwarzen Botin«) ihre Gedanken beim erneuten Lesen des Gesprächs heute in einem kurzen Kommentar wiedergegeben.
Neben dem Aufgreifen wichtiger Gedanken und Topoi feministischer Kritik, die in den Hintergrund getreten sind oder verdrängt wurden, werden in dieser Ausgabe regressive und reaktionäre Tendenzen gegenwärtiger Debatten beleuchtet. Magnus Klaue kritisiert in »Wir wollen keine Schokolade. Laurie Pennys populistischer Konsensfeminismus« dabei einen der aktuellen Stars der Szene und zeigt, »wie sie triftige Formen der Selbstkritik der Frauenbewegung in einer Weise aufgreift, die den historischen Bedingungsgrund eben dieser Erkenntnisse dem Vergessen zuführt und damit letztlich die schlechtesten Traditionen des Feminismus auf der Höhe der Zeit restituiert – im Namen eines so kultursensiblen wie konsenssüchtigen Geschlechterdiskurses, der sich jeder Erinnerung an die konstitutive Verbindung von Frauenbewegung und bürgerlichem Universalismus entschlagen hat.« (Magnus Klaue in dieser Ausgabe)
Melanie Babenhauserheide untersucht in »Zwischen Feminismus und Misogynie«, wie sich das Geschlechterverhältnis in Slash Fiction, einem Subgenre von Fan Fiction, darstellt. Slash Fiction gilt als besonders emanzipatorisches Genre, weil die in den Storys beschriebenen sexuellen Beziehungen mit sexuellen Tabus und Heteronorm brechen. Der Text legt Widersprüche im Verhältnis von Figuren, AutorInnen, Storys und LeserInnen frei, die auf das Geschlechterverhältnis in der realen Gesellschaft verweisen.
Ein bestimmtes Versprechen von Unverwechselbarkeit und unverbrüchlicher Gebundenheit ist mit dem derzeitigen Hype um »Attachment Parenting« verbunden. Um die drei praktischen Grundregeln Stillen, Tragen, Familienbett entspinnt sich ein ideologischer Diskurs, dessen Knotenpunkt in einer reaktionären Abschottung der klassischen Kleinfamilie von der als feindlich erscheinenden Sphäre des Gesellschaftlichen liegt. Moritz Strickerts und Volker Beecks Text untersucht ideologiekritisch das Frauen- und Familienbild im »Attachment Parenting«.
Welche Bedeutung haben die Emanzipation von Frauen und die Kritik der Homophobie unter linken Exil-IranerInnen in Deutschland? Dies ist eine der Fragen, mit denen sich das Interview von Niels Schaffroth und Moritz Strickert mit der exil-iranischen Aktivistin Saideh Saadat-Lendle beschäftigt. Sie berichtet dort über ihre Politisierung in der Schah-Zeit, die Auswirkungen des Chomeini-Regimes, ihre Flucht nach Deutschland, die Situation von Frauen nach der islamischen Revolution im Iran und ihre Einschätzung der linken, exil-iranischen Kritik in Deutschland.
Mit den Reaktionen französischer PsychoanalytikerInnen auf die islamistischen Anschlage in Paris im Januar und November 2015 setzt sich Tjark Kunstreich auseinander. Dabei kommt er zu dem Urteil, dass ihre Deutungen Gesellschaftskritik, psychoanalytischen Diskurs und das Beharren auf den Werten der Aufklärung miteinander verbinden, ohne in die Falle von schlechter Soziologie oder Anthropologisierung zu tappen. Der Text basiert auf einem Vortrag, den Tjark Kunstreich am 7. Januar 2016 an der »International Psychoanalytic University« in Berlin hielt.
Als Highlight liegt dieser Ausgabe ein Poster mit Risographien aus der Serie Horses von Ansgar Wilken bei.
Es wünscht damit viel Spaß die Extrablatt-Redaktion, wie gehabt aus Gründen gegen fast Alles.
ANMERKUNGEN
1 Bezüglich der uns wichtig erscheinenden Frage nach einer ideologischen Kompatibilität von Gendertheorie und flexibilisiertem Kapital hatten wir Tove Soiland um Abdruckerlaubnis ihres Textes »Subversion, wo steckst Du? Eine Spurensuche an den Universitäten« (online einsehbar unter: http://ecamp.blogsport.de/images/ToveSoiland.pdf) angefragt. Nach einem anfänglichen OK zog Soiland ihre Zusage zurück. Nachdem wir nämlich erfuhren, dass Soiland beim diesjährigen »Marx-is-Muss«-Kongress als Referentin geladen war, teilten wir ihr unsere Irritation darüber mit, dass sie auf einer Konferenz spricht, welche programmatisch »den Islam als Bündnispartner gegen den Rechtspopulismus« (M. Munzlinger in Jungle World Nr. 5, 2. Februar 2017) präsentiert. Daraufhin erhielten wir von ihr die Nachfrage, ob wir uns der »antideutschen Fraktion verbunden fühlen«. Auf eine Bestätigung unsererseits hin folgte prompt die Rücknahme ihrer Abdruckgenehmigung. Es wäre ihr unangenehm, ihren »Namen in diesem Kontext genannt zu sehen« – offensichtlich aber nicht in einem Kontext mit ChauvinistInnen und AntisemitInnen wie
z. B. Aiman Mazyek oder Andrea Reimann.
2 AG Feministisch Sprachhandeln: Was tun? Sprachhandeln aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit, 2. Auflage 2014/2015, feministisch-sprachhandeln.org/wp-content/uploads/2015/04/sprachleitfaden_zweite_auflage.pdf
3 Ebd.
4 Vgl. die Kontroverse um die Band Preoccupations, vormals Viet Cong, z.B.: David Renshaw: Canadian band Viet Cong have gig axed due to ‘offensive’ band name, NME, 04.03.2015, www.nme.com/news/music/various-artists-288-1219103
5 Zitiert nach: Heide Oestrich: Wie gleichberechtigt sind Hinterteile? AfD-Nachwuchs gegen Feminismus, in: taz, 21.04.2014, www.taz.de/!5043854/
6 Antrag zum vierten Bundesparteitag der AfD, zitiert nach: www.queer.de/gfx/afd-antrag-gender-mainstreaming.pdf
7 In einer weiteren Kampagne, der gegen das »Ghostbusters«-Remake mit weiblichen Hauptrollen, war es Yiannopoulos, der am prominentesten gegen diesen Film und seine Beteiligten pöbelte. Wegen seiner Ausfälle gegen die schwarze Schauspielerin Leslie Jones wurde sein Twitter-Account gesperrt, was einiges über die Heftigkeit der Angriffe sagt.
8 Vgl. Georg Seeßlen: Trompeten des Trumpismus. Sprachattacke der Rechtspopulisten. Spiegel Online, 11.02.2017, www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/donald-trump-sprachattacke-der-rechtspopulisten-trompeten-des-trumpismus-a-1133299.html
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